Medea. Stimmen by Christa Wolf
Autor:Christa Wolf
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2009-12-31T23:00:00+00:00
6
Er hat mir meine Güter genommen.
Mein Lachen, meine Zärtlichkeit, mein Freuenkönnen,
mein Mitleiden, Helfenkönnen, meine Animalität,
mein Strahlen, er hat jedes einzelne Aufkommen
von all dem ausgetreten, bis es nicht mehr aufgekommen
ist. Aber warum tut das jemand, das versteh ich nicht ...
Ingeborg Bachmann, ›Franza-Fragment‹
Glauke
Es ist alles meine Schuld. Ich habe gewußt, daß die Strafe kommen muß, ach, ich bin geübt im Bestraftwerden, die Strafe tobt in mir, lange ehe ich ihr Gesicht kenne, nun kenne ich es und werfe mich vor dem Altar des Helios zu Boden und zerreiße meine Kleider und zerkratze mein Gesicht und flehe ihn an, er möge diese Strafe von meiner Stadt nehmen und sie nur auf mich legen, auf mich, die Schuldige.
Die Pest. Ach, es ist das Übermaß. Kann es eine Schuld geben, die als Strafe die Pest nach sich zieht, ich könnte Turon fragen, der mir nicht mehr von der Seite weicht, Akamas hat ihn mir als Beschützer beigegeben, er ist so alt wie ich, ein bleicher, unglaublich dünner junger Mann mit hohlen Wangen und langen knochigen Fingern und einem klebrigen Blick, ich muß ihm dankbar sein, wie er sich um mich kümmert, der König mache sich Sorgen um mich, hat er mir sagen lassen, Regierungsgeschäfte hindern ihn, persönlich zu mir zu kommen, das ist selbstverständlich, auch wenn er käme, könnte ich ihm nicht sagen, daß es mir vor den feuchten knochigen Händen des Turon graust, die er mir gerne auf den Oberarm legt oder auf die Schulter, oder sogar auf die Stirn, um mich zu beruhigen, so sagt er, und daß der Geruch nach fauligem Schweiß, der aus seinen Achselhöhlen strömt, mich ekelt, kein anderer Mensch, den ich kenne, riecht so, im Gegenteil, es gibt Menschen, deren Geruch man nicht genug einsaugen kann, aber daran will ich nicht schon wieder denken, nicht schon wieder an die Frau, die mir auch die Hand auf die Stirn gelegt hat, nein, ich soll sie vergessen, ich muß sie vergessen, die mir das anempfehlen, haben alle recht, besonders Kreon, der Vater hat recht, ich muß den Namen dieser Frau aus meiner Erinnerung tilgen, ich muß mir diese ganze Person aus dem Kopf schlagen, sie mir aus dem Herzen reißen, ich muß mich fragen lassen oder mich selbst fragen, wie es mir passieren konnte, daß ich ihr mein Herz öffnete, ihr, die uns immer fremd bleiben wird, Turon hat wohl recht, sie Verräterin zu nennen, sie der schwarzen Magie zu bezichtigen, aber was Turon sagt, ist mir eigentlich gleichgültig, es geht mir nicht so nahe, wie mir die Verzweiflung des Vaters nahegegangen ist, denn der maßlose Zorn, den er gegen mich gerichtet hat, kann ja nur aus Verzweiflung gekommen sein, nicht wahr, niemand hat ihn je so zornig gesehen, ich kann mich nicht erinnern, daß er mich je vorher berührt hätte, er hat es vermieden, mich zu berühren, das habe ich immer verstanden. Welcher Mann, und sei es der Vater, berührt gerne die blasse unreine Haut, das dünne schlaffe Haar oder die linkischen Glieder eines Mädchens, und sei es die Tochter,
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